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Gary Yontef *
Warum "Beziehungsorientierte Gestalttherapie **"?

(** "Relational Gestalt Therapy" i.Original, A.V.)

Einige gegenwärtige Gestalttherapeuten so wie auch ich beziehen sich seit kurzem auf "Beziehungsorientierte Gestalttherapie" (Relational Gestalt Therapy i.O.). Da die grundlegendeTheorie der Gestalttherapie schon immer beziehungsorientiert war und ohne dies kein zusammenhängender Kern der Gestalttherapie-Theorie da ist, warum das Adjektiv "beziehungsorientiert" (relational i.O.) hinzufügen?

Das Adjektiv "beziehungsorientiert" wird hinzugefügt, um zwischen bedeutenden Variationen zu unterscheiden, wie die Theorie der Gestalttherapie erklärt wird und - sogar noch bedeutender - wie Gestalttherapie praktiziert wird.

Nach meinem Verständnis wird in der Theorie der Gestalttherapie das Feld durch die Relationen des Feldes (Feldtheorie) konfiguriert und Wahrnehmung wird immer interpretiert - konstruiert in einer Interaktion zwischen einem Beobachter und dem, was beobachtet wird (existentiell-phänomenologische Perspektive). Jeder Prozeß, jedes Problem, jeder kreative Fortschritt oder jede Problemlösung ist eine Funktion der Beziehung zwischen den Menschen "im Feld", und Beobachtung/Wahrnehmung wird phenomenologisch konstruiert. Es gibt keine einzelne gültige oder objektive Wahrheit oder Beobachtung. In der Tat akzeptiert die existentiell-phänomenologische Haltung die Subjekt-Objekt-Spaltung überhaupt nicht - sie akzeptiert weder das Bestehen reiner Subjektivität noch Objektivität. Wirklichkeit wird von allen Teilnehmern an Ereignissen im Feld gemeinsam konstruiert. Außerdem ist ein wichtiger Aspekt der Grundlagen der Gestalttherapie, daß alle Teile des Feldes, folglich alle Teilnehmer an menschlichen Interaktionen, wechselseitig voneinander abhängig sind. Tatsächlich können alle lebenden Systeme, einschließlich des Systems der Gestalttherapie, nur durch Kontakt mit dem wachsen, was außerhalb des Systems ist und durch Assimilieren des benötigten Neuen.

Im Gegensatz zu dieser grundlegenden Theorie gibt es häufig uneingestanden eine Haltung, in der einige Gestalttherapie praktizieren, Therapeuten ausbilden oder über Gestalttherapie reden, als hätte der Ausbilder oder Therapeut eine objektive Position, eine, die realer oder genauer wäre als die des Patienten oder der Auszubildenden. Außerdem umfaßt die Haltung häufig den Glauben, daß das System der Gestalttherapie sich selbst genügt und Wissen von anderen Systemen nicht notwendig ist. Aus dieser Sicht wird jede Person oder jedes System, die/das etwas aus äußeren Quellen hineinnehmen muß, als schwach und mangelhaft betrachtet. Manchmal wird diese Betonung der Unabhängigkeit und daß ein möglicher Bedarf von außerhalb des Systems Schwäche und Unzulänglichkeit anzeigt, zwischen den Zeilen vermittelt. Etwas von dieser Haltung läßt sich erkennen, wenn einige Leute sich auf "das Offensichtliche sehen" beziehen, als ob alle Voreingenommenheiten durch den Therapeuten oder Ausbilder erfolgreich beseitigt werden könnten und Beobachtung objektiv sein könnte. In dieser Haltung werden abweichende Wahrnehmungen als zurechtgelegt und subjektiv behandelt, während die eigenen als faktisch und objektiv angesehen werden. Manchmal werden die abweichenden Ansichten als Interpretationen angesehen und die Ansichten des Therapeuten oder Ausbilders als interpretationsfreie Tatsache. Diese Überheblichkeit ist mit den Werten der existentiellen Phenomenologie wie auch mit denen des Dialogischen Existentialismus, beide sind grundlegende Prinzipien der Gestalttherapie, unvereinbar.

In der Praxis sind die auffallendsten Varianten im Bereich der Umfassung und der Scham zu sehen. Im letzten Jahrzehnt ist in der Literatur diskutiert worden, daß Patienten oft Scham empfinden, weil sie Therapie benötigen, daß aber oft diese situationsbezogene Scham nur eine unmittelbare Manifestation einer globaleren oder existentiellen Scham ist. Manchmal wird diese Scham entweder durch Interaktionen mit dem Therapeuten oder dem Ausbilder hervorgerufen. Leider ist bei Gelegenheit auch zu beobachten, daß der Ausbilder oder Therapeut beim Patienten oder Auszubildenden aktiv Scham auslöst. Oftmals wird unabsichtlich oder aktiv Scham als Teil einer barschen Konfrontation, dem Verfechten von Autarkie und grobem Individualismus hervorgerufen, aber auch durch Sarkasmus, dem Einsetzen von Experimenten, um den Patienten zu manipulieren, anders zu sein, als er ist sowie durch ein die eigene Scham abwehrendes Verhalten des Therapeuten.

Wenn der Therapeut annimmt, daß die Erfahrung von Scham in der therapeutischen Situation, sei es beim Patienten oder Therapeuten co-konstruiert ist, daß die Einstellungen, Werte und die Praxis des Therapeuten Teil des Scham induzierenden Prozesses ist, dann ist eine Praxis möglich, die mit der grundlegenden Theorie der Gestalttherapie übereinstimmt. Das Phänomen kann gemeinsam untersucht werden und das Heilen der Scham, sei es beim Patienten oder Therapeuten, durch Bewußtheit und Dialog ist möglich.

Wenn jedoch Therapeuten annehmen, daß ihre Wahrnehmung - inklusive ihres eigenen Verhaltens und ihrer Haltung - exakt ist und die des Patienten ungenau und jede Kritik des Patienten als eine Verzerrung durch ihn und nicht vom gesamten Feld, vom Therapeuten und Patienten verursacht wird, dann wird die Ursache der Scham, die der Patient fühlt, explizit oder implizit nur auf dessen charakterologische Probleme attribuiert. Hat der Therapeut die Hybris zu glauben, daß er zwar mit dem Patienten interagiert, aber nicht Teil des Problems sein kann und daß nur der Patient in der Interaktion wachsen muß, und daß Heilung das Resultat der Verdienste des Therapeuten - und Scheitern des Heilens aber nur dem Patienten zuzuschreiben ist - dann wird die grundlegenede Theorie der Gestalttherapie verletzt und situativ erzeugte Scham und andere Probleme sind wahrscheinlich.

Wenn Scham in der Therapie- oder Ausbildungssituation aktiviert wird und der Therapeut wirklich Umfassung praktiziert, bereit ist, ein verletzbarer Teilnehmer in der Interaktion zu sein, bereit ist, seine eigenen Wahrnehmungen durch die Interaktion beeinflussen und korrigieren zu lassen, offen ist für die Möglichkeit, daß sie fehlerbehaftet und Teil von Unterbrechungen im Therapieprozeß sein können, dann wird im Sinne der grundlegenden Theorie gehandelt und durch diese Form von dialogischem Kontakt Wachstum unterstützt.

Die meisten Gestalttherapeuten sagen, daß sie beziehungsorientiert, dialogisch sind, guten Kontakt herstellen, den Patienten respektieren, der Bewußtheit des Patienten folgen, keinen Schaden verursachen und so weiter. Jedoch wissen wir alle, daß "die Landkarte nicht die Landschaft ist". Die beziehungsorientierte Praxis für sich geltend zu machen ist nicht dasselbe wie sie wirklich zu praktizieren.

Nach meiner Erfahrung in der Gestalttherapie seit Mitte der 60er Jahre wurde jede Darlegung beziehungsorientierter Konzepte zuerst von vielen Gestalttherapeuten geradeheraus abgelehnt - mit Behauptungen, sie seien nutzlos oder schädlich. Sobald die beziehungsorientierte Theorie und Praxis sich als wertvoll und gut aufgenommen erweist, neigen diese andersdenkenden Gestalttherapeuten oft dazu zu sgen "es könnte nützlich sein, ist aber nicht Gestalttherapie". Wenn das Konzept letzlich allgemein akzeptiert wird beanspruchen dieselben Gestalttherapeuten das neue Konzept für sich selbst und sagen "dies ist was ich tue und immer schon getan habe". Sorgfältige Beobachtung dessen was sie wirklich tun wiederspricht dieser Behauptung.

Als einige von uns begannen, über "Dialog" als eine spezifische Form von Kontakt zu sprechen, welche Umfassung, das Wertschätzen von Beziehungsvariablen, Unterstützung und Herzlichkeit statt Konfrontation und Barschheit sowie gesteigerte authentische Präsenz des Therapeuten und sich mehr der Interaktion zu überlassen als das Ergebnis kontrollieren zu wollen betont, wurde dies anfangs von Vielen in der Gestalttherapie wie ein fremdes Konzept behandelt. Seit kurzem haben dieselben Leute, die Gestalttherapie in einer Weise praktizieren, die im Gegensatz zur dialogischen Haltung steht - und die ein Teil der Begründung sind, warum die Betonung der beziehungsorientierten Gestalttherapie nötig ist - begonnen, Dialog für sich selbst zu beanspruchen. Es ist unsere Pflicht zu beobachten, was Therapeuten und Ausbilder wirklich tun und was die tatsächlichen Konsequenzen dessen sind, was sie tun.

Die Perspektive der Wichtigkeit von Umfassung (Zuhören innerhalb der Erfahrung des Patienten), von Unterstützung und Herzlichkeit, der zentralen Bedeutung der fortlaufenden therapeutischen Beziehung, der Wert der Transparenz des Therapeuten, die existentiell- phänomenologische Haltung sowie der Feld-Prozeß-Ansatz ist bekannt geworden als Beziehungsorientierte Gestalttherapie (Relational Gestalt Therapy i.O.). Dies schließt das ein, was der Begriff "Dialogische Gestalttherapie" beinhaltet - und mehr. Leider ist der Begriff "dialogisch" inflationär verwendet worden und hat einiges seiner spezifischen Bedeutung durch ungenauen Gebrauch und glatter Entwendung verloren. Dieser beziehungsorientierte Ansatz der Gestalttherapie ist teilweise von neueren Schulen der Psychoanalyse, besonders die beziehungsorientierten und intersubjektiven Schulen beeinflußt worden, aber ist auch das Ergebnis der Weiterentwicklung der Theorie und Praxis der Gestalttherapie durch klinische Erfahrung, persönliche Psychotherapie der Praktiker und theoretischem Dialog. Die beziehungsorientierte gestalttherapeutische Haltung ist auf alle Aspekte der therapeutischen Praxis anwendbar, einschließlich dem aktiven Experimentieren, Lehren und dem Dialog über Unterschiede zwischen Therapeut und Patient.

©2001 Gary Yontef
Übersetzung: Achim Votsmeier-Röhr

* Gary Yontef, Ph.D., FAClinP, is a Fellow of the Academy of Clinical Psychology and Diplomate in Clinical Psychology (ABPP). Along with Lynne Jacobs, Ph.D., he has co-founded and co-directs the Gestalt Therapy Institute of the Pacific, a contemporary gestalt therapy training institute. Formerly President of the Gestalt Therapy Institute of Los Angeles and for 18 years he was head of its training program. He is an Editorial Member of The Gestalt Journal, Editorial Advisor of the British Gestalt Journal, and member of the Executive Board of the International Gestalt Therapy Association. His book Awareness, Dialogue and Process: Essays on Gestalt Therapy has been translated into 4 other languages. He has also written over 30 articles and chapters on gestalt therapy theory and practice.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

 
 
 
 
 
 
 

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